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Berthold Grebien 1921-1944

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Ein stiller, zurückhaltender junger Mann, der nicht gut lernen konnte, über den sich andere Kinder manchmal lustig gemacht haben und der doch den meisten etwas voraus hatte. Er spürte und ahnte, dass Hitler und der Krieg das Verderben brachten. Einsam muss er sich gefühlt haben als Soldat mit seiner Abneigung gegen den Krieg. Im Lazarett hielt er dies nicht mehr zurück, schrie es heraus wie grausam der Krieg, wie verderblich Hitler war und schmiss eine Scheibe ein. Die Nazis brachten ihn nach Ilten in die Nervenklinik, wo er wohl umgebracht worden wäre, wenn seine älteste Schwester es nicht geschafft hätte, ihn dort wieder herauszuholen. Große Angst hat er gehabt, wieder an die Front zu müssen, einsam wird er gestorben sein im Krieg in Jugoslawien.

Berthold Grebien. 1921 in Langenhorst geboren.

Zu Bertholds Konfirmation 1935 wurde der Laden eingeweiht. Berthold ging nach Abschluss der Grabower Volksschule zur Landwirtschaftsschule nach Lüchow, um Bauer zu werden. Er sollte den Hof mal übernehmen und war mit Leib und Seele Bauer.

Die Geschwister Elfriede, Berthold und Lydia. Grabow 1937

Berthold mit Eltern Ernst und Lina. Grabow 1935. Ladeneinweihung und Konfirmation.
Bertholds Neigung ist die Pferdezucht.
Lydia erzählt:
"Aus einem Brief wird deutlich, daß es im Mai oder Juni 1940 gewesen sein muss, daß Berthold mit seinem Pferd ausgerückt ist für drei Tage und Nächte. Die Nerven sind mit ihm durchgegangen und die Eltern machten sich große Sorgen.

Was wirklich vorgefallen ist, weiß ich nicht. Ich war noch Kind und war in diesen Tagen auf einem Zeltlager von der HJ in Bad Bevensen. Auf der Hinreise hatte ich meinen Mantel im Zug liegen gelassen und nicht wieder bekommen. Als ich nach Hause kam, hatte ich Angst meiner Mutter davon zu erzählen, aber sie sagte nur: „Ach Dirn, dat is all nicht so schlimm, Hauptsach Du bist wedder do. Wir hatten solchen Kummer mit Berthold.“

 

1941 wird Berthold zur Infanterie einberufen und muss nach einer Blitzausbildung in Göttingen direkt nach Russland an die Front zur Eroberung der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer. Im Dezember 1941 ist die Krim nahezu besetzt. Viele Wochen lang wird noch um Sewastopol gekämpft.
Am 6. Januar 1942 wird Berthold Grebien am Kopf schwer verwundet.
                                    (Eine Anmerkung zum Geschehen Am 6. Januar 1942 auf der Halbinsel Krim.)

Nach kurzem Lazarettaufenthalt in Bielschowitz bei Gleiwitz wird   Berthol nach Breslau ins Lazarett verlegt. Das Geschoss hat einen Kiefer gebrochen und wird hinterm Ohr heraus operiert. Neun Monate wird er mit Flüssignahrung ernährt. Er schreibt aus dem Lazarett:

"Breslau, den 24.2.1942
Liebe Schwester Lydia !
Ich habe Deinen Brief noch gerade erhalten in Bielschowitz. Gestern gegen Abend sind wir eine Treppe höher gekommen in Zimmer 201. Da wurde mir wieder schlecht und bin heute im Bett liegen gegangen und mir wurde wieder schlecht. Und habe fast immer Durchfall und Magenschmerzen, es wechselt ein um anderen Tag. Und mir der Arzt im Bett untersucht.
Wie geht es Dir? Würde allen schreiben, wenn es mir besser geht, aber ich habe wieder kein Schreibpapier, ich habe mir erst mal was geborgt. Ich darf keinen langen Brief schreiben. Dann schreib ich zuviel durcheinander.
Wenn Du und Vater auf seinem Geburtstag (5. März) kommen könnt. Und einige Tage hier bleiben könnt, sonst ist der Weg zu weit, ihr könnt ja noch eher kommen, für Mutter ist der Weg zu weit, ich lass mich bald nach Hannover in ein Heimatlazarett verlegen.

Viele herzliche Wünsche zu Deinem Geburtstag gratuliere ich. Ich lege 5 Mark rein. Elfriede werde ich auch schreiben, lieber würde ich gegenseitig was schenken, aber ich werde Elfriede auch 5 Mark schicken, denn ich kann nicht in die Stadt, was aussuchen. Vielleicht ein gutes Buch gegenseitig was ihr Euch wünscht, ich schenke auch sonst kein Geld, denn es ist kein Andenken. Ich werde diesen Brief schreiben und morgen vielleicht zusammen abschicken. Hast Du für mich ein Geschenk für Vater? Ich hoffe jetzt, daß Du und Elfriede die 5 Mark erhaltet. Wenn nur einige Zigaretten oder was zu rauchen da wäre, hier gibt es nur eine Zigarette und ich habe mir schon einige geliehen.
Nun sei herzlich gegrüßt von Berthold.“
Lydia: "Mutter hat ihn dann doch zuerst allein in Breslau besucht, obwohl sie ja herzleidend war. Später Vater und ich. Als wir ihn besuchten, gingen wir mit ihm spazieren. Berthold konnte den Kopf nicht aufrecht halten."
Im September wird Berthold von Breslau nach Großburgwedel ins Heimatlazarett verlegt.
Er schreibt einen langen Brief:

Absender: Soldat Berthold Grebien, Reservelazarett Burgwedel
Abteilung Schulungsburg
"An Fräulein Lydia Grebien
Grabow
Kreis Dannenberg
Hannover den 24.09.1942
Liebe Schwester Lydia,
Es wird wohl mal Zeit, daß ich Dir wieder schreibe. Gestern hatte ich Mutter eine Karte geschrieben. Ich hatte die Karte gerade weggebracht, da bekam ich von Mutter einen Brief. Schade, ich wollte den Brief jetzt noch mal durchlesen, aber ich habe den Brief in meiner Jacke gelassen. Wenn wir von Ausgang wiederkommen, dann müssen wir unser Zeug abgeben. Daß wir nicht jeden Tag ausgehen können. Ich werde Dir jetzt heute mal schreiben, sonst bekomme ich doch so leicht keine Post von Euch, weil die anderen doch keine Zeit haben zum Schreiben.

Ich weiß wohl, Du hast kaum viel Zeit mal zu schreiben. Wie ich zu Hause auf Urlaub war, da hattest Du allerhand Schularbeiten auf. Oder bekommst Du jetzt bald Ferien? Vier Wochen oder acht Wochen lang oder nur acht Tage? Hoffentlich hat Elfriede den Brief von mir bekommen. Und Ernst Gebensleben geschrieben, aber ich kenne Elfriede ihre Natur schon ganz genau. Ich will sie niemals schlecht machen. Solche Schwester könnte ich sonst niemals mit erzürnen, aber sie will sich immer keine unnötige Arbeit machen. Ob ich recht habe oder nicht, ist mir gleich. Denn wenn es einmal nicht klappt, dann darf man nicht gleich versagen. Hoffentlich reicht sie gleich noch mal jetzt Arbeitsurlaub ein. Außerdem Freiplatzspende noch extra. Wenn Elfriede jetzt keine Lust und keine Zeit hat, dann kannst Du es ja mal machen. Vater wird Dir dabei helfen. Aber wenn Ihr es nicht macht, dann kann ich Euch auch nicht helfen. Vielleicht werde ich nächste Woche hier im Dorf arbeiten gehen.
Wenn der Brief ankommt, und Elfriede hat noch kein Gesuch geschrieben, dann reichst Du sofort und spätestens bis Sonntag, denn Oktober, höchstens November dann gibt's keinen Arbeitsurlaub mehr. Und dann an den künftigen Chefarzt nach hier das Gesuch schreiben in Burgwedel, sowieso und so weiter. Heute habe ich doch gerade von Vater einen Brief bekommen und auch sogar eine Raucherkarte. Nun will ich in den nächsten Tagen August Bölter ein kleines Paket schicken. Ein Paket Tabak und eine Zigarre, damit er wieder mit Lust und Liebe seine Arbeit macht. Das brauchst Du ihm aber nicht zu sagen.

Aber ein Monat bin ich schon mit einer Raucherkarte im voraus. Aber es macht doch nichts, wenn ich mal wieder in Urlaub kann, dann werde ich meine Raucherkarte entbehren und Euch in der Gastwirtschaft schädigen.
Ist eigentlich der Urmacher noch bei uns oder bei Euch? Wenn der noch da wäre, dann könntest Du mal so von hinten herum fragen, Du wolltest gern eine Armbanduhr haben, dann könntest Du für mich eine kaufen. Nur nicht bescheißen lassen. Denn er wollte diese Bruchuhr verkaufen. Die Uhr steht alle augenblicklich still. Ich wollte die Uhr schon weiterverkaufen. Ich wollte 50 Mark dafür haben, aber ich werde vielleicht höchstens 30 Mark bekommen. Denn zweitens, vielleicht wenn Du die Uhr noch bekämst, wo kein Glas drauf ist, die Armbanduhr könnte ich mir in Hannover Glas drauf machen lassen.
Wo ich in Urlaub gewesen war, da wollte ich die Uhr haben. Der wollte aber 120 Mark dafür haben. Ich schreibe es nur. Aber daß Du es nicht ihm erzählst. Versuch doch mal die Uhr von ihm zu kaufen für 30 oder 40 Mark. Wenn es auch noch 50 wären, macht es nichts. Denn ich nehme an, ich habe noch paar hundert Mark auf der Sparkasse, da könntest Du ja das Geld holen. Nur wenn Du eine kaufst, dann mußt Du die erst selber paar Tage tragen, daß sie richtig geht. Und beim Uhrmacher in Lüchow oder wer was von Uhren versteht vielleicht nach den Steinen fragen. Denn an dieser Uhr sind fast keine Steine. Es gibt Uhren mit 12 Steinen, soviel Steine es hat, soviel besser ist die Uhr.
Jetzt ein anderes Thema. Du könntest mal mein Album schicken, auch mit den Bildern, die noch nicht da drin sind, die kann ich hier reinkleben. Und wenn Du Deinen Fotoapparat entbehren könntest, dann kannst Du es mir schicken.
Es ist wieder was trauriges geschehen. Aus Magdeburg Willi Kofahl, wo ich in Urlaub gewesen bin, da war Willi doch verwundet. Er hatte doch Lungenschuß und jetzt schrieb Mutter, er wäre gefallen. Wie es ist, das könntest Du mir mal richtig schreiben. Es ist wieder nicht so einfach für uns und vor allen Dingen für Frau Idchen und sogar, daß sie jetzt ein kleines Kind hat. Und für Jamelner ist es nicht einfach. Mutter schrieb mir, daß sie es Hermann noch nicht gesagt haben.
Und wenn es ist, die Adresse von Uelzer Gerhard und Werner Braunschweig aus Wustrow. Es ist uns schon selbst nicht so einfach drüber wegzukommen, daß Willi Kofahl jetzt gefallen ist. Ich weiß was Krieg bedeutet, weil ich es selber erfahren und mitgemacht habe. Ich mag es Euch gar nicht erzählen, was da vorgekommen war in Rußland, wo ich da war. Ich habe noch Glück dabei gehabt, sonst würde ich keine Heimat wieder zu sehen bekommen.

Ich sage nur, wenn mir mal ein Urlaub gestrichen wird, da mache ich mir keine Gedanken darüber. Denn mich kriegt so keiner mehr an die Front. Und nachher entlassen und dann sollte ich vielleicht keine Rente bekommen. Dann erst mal unterschreiben, einfach nicht und zweitens bin ich kein Parteimitglied und spende sowas da. Es sollte heute nur richtig Schnaps geben wie früher in Friedenszeiten. Dann würden die meisten Soldaten das ganze Lazarett in Scherben zerbringen.

Ich habe genug schon wieder erfahren hier und genug weinen gehört, aber heute ist am besten still schweigen und seine Wege gehen, sonst machen sie heute nicht viel Arbeit und man wird an die Wand gestellt oder sonst was wird mit einem gemacht. Wenn Du es verstehst heute, was dieser Krieg bedeutet. Vater wird es wissen. Das will ich ihm lieber nicht schreiben. Das Volk wird heute für dumm gehalten, wie Vater es schon immer gesagt hat und so stimmt es.

Ich habe meinen Glauben, was Vater mir immer schreibt, alle guten Segen kommt von oben. Ich glaube an Gott. Ich habe erst richtig das Beten in Rußland im Feuer gelernt. Aber wer es nicht glaubt, der läßt es eben sein. Ich will für heute bei klein Schluß machen und wie ist es mit Schrauben geworden für die Schlepphackemaschine? Sind sie jetzt fertig? Oder wie ich schon mal geschrieben habe, daß ich es auch besorgen wollte, daß ihr mir nur eine Schraube schickt.
Mir geht es sonst noch gut, was ich von Euch auch wohl noch erwarten kann. Bleibt in der Hoffnung alle gesund und munter. Jetzt Schluß.
Viele herzliche Grüße von Deinem Bruder Berthold

Ein Jahr später, im August 1943, ist Berthold noch im Lazarett in Großburgwedel.
Ein Brief von Lydia:

"13. August 1943
Mein lieber, guter Bruder Berthold,
bist Du mir böse, daß ich nicht eher geschrieben habe? Aber bitte bitte mein liebes Brüderchen, vergib mir. Ich hatte doch wirklich keine Zeit ! Du weißt doch selber, wie es zu hause ist und daß man gerade jetzt abends müde ist, wenn man nach hause kommt. Es ist auch heute schon Mitternacht. Aber ich habe gedacht: Es ist jetzt ganz egal, heute schreibst du, und wenn es noch zu spät wird. Berthold, wenn wir Dir auch mal nicht geschrieben haben, so bist Du in Gedanken doch immer bei uns. Berthold, bitte glaub es mir, wir haben Dich sehr sehr gerne. Wenn Du auch mal von uns keine Post erhälst, so schreibe Du doch bitte bitte immer ! Wir machen uns sonst zu viel Sorgen um Dich.
Berthold, wir sind ja so unendlich dankbar, daß wir Dich noch haben, daß Dich der Krieg nicht verschlungen hat. Oh, Du lieber, bester, einziger Bruder, wie schwer haben doch jetzt viele Menschen zu tragen, die ihren Sohn oder einen Angehörigen verloren haben. Gerade heute abend war ich bei Peters. Berthold Du glaubst nicht, wie Peters Mutter geweint hat, geschrieen hat um ihren Sohn, von dem sie nichts weiß, gar nichts, ja, schon acht Monate lang hat sie keine Nachricht von ihm. Gerade in diesen Tagen ist es ihr so furchtbar schwer ums Herz, weil Elisabeth Jabelmann übermorgen Hochzeit hat. Peters Mutter hat doch immer geglaubt, sie würde Bernhards Frau. Aber Elisabeth hat Bernhard vergessen, seitdem er in Stalingrad war. Und die arme Frau, die arme Mutter muß ihr ganzes Leben lang ihr Kreuz alleine tragen. Keinen Menschen hat sie, der sie trösten kann. Hat der Krieg es nicht sehr hart mit ihr gemeint?
Berthold gerade wenn man ein solches Schicksal denkt, weiß man erst, wie dankbar man sein kann, daß unsere Familie noch beisammen ist. Wir wollen auch deshalb gar nicht traurig sein, daß unser schönes Pferd, wovon Mutter Dir ja schrieb, eingegangen ist. Lieber ein Tierleben opfern, als einen Menschen hergeben.
Berthold mit unserer Kornernte haben wir es bald geschafft. Ein Fuder Hafer steht nur noch außer dem Weizen draußen... Zum Melken fahr ich jetzt immer mit Anna (aus der Ukraine) mit dem blauen Wagen und einem Pferd... Unsere Kühe sind jetzt nämlich am Mühlenbach an der Jeetzel. Das macht uns sehr viel Spaß. Mit der Anna versteh ich mich sehr gut.“

Noch im Jahr 1943 kam Berthold in die Nervenklinik nach Ilten bei Hannover. Er hatte in Großburgwedel im Lazarett aus Wut auf den Krieg und weil er keinen Urlaub bekam, Fensterscheiben eingeworfen. Elfriede schaffte es, ihn wieder aus der Nervenklinik in Ilten herauszuholen. Sie sprach mit dem behandelnden Arzt und erklärte ihm, dass ihr Bruder Berthold es zu Hause nicht einfach hätte. Unser Vater sei sehr streng mit ihm. Und nun noch die schwere Kopfverwundung. Da seien die Nerven mit ihm durchgegangen. Und sie bat den Arzt, ihn dort rauszulassen.

Danach kam Berthold nach Delmenhorst als Wachmann für Gefangene. Er war jetzt gv-Heimat geschrieben und wir dachten alle, für ihn ist der Krieg vorbei, er braucht nicht wieder an die Front. Aber das kam später doch anders.

Weihnachten 1943 kommt Berthold auf Urlaub. Meine Mutter hatte alle Fleischmarken gesammelt und dafür die besten Wurst- und Aufschnittwaren gekauft und gedacht, Berthold damit eine Freude zu machen. Wie Berthold das am Heiligabend sah, war er sehr enttäuscht und fragte, warum gibt es denn keinen Grünkohl, darauf habe ich mich so gefreut. Da holte meine Mutter noch abends spät den Grünkohl aus dem Garten und kochte das Grünkohlessen, wie wir es immer zu Weihnachten gehabt hatten.

Am 2. Weihnachtstag begleitete ich Berthold mit der Bahn nach Salzwedel. Ich ahnte nicht, dass dies unser letzter Abschied sein würde. Berthold fuhr weiter nach Delmenhorst. Er war in Tropenuniform, weder er noch wir wussten, was sie mit ihm vorhatten. Auf dem Bahnsteig in Salzwedel verabschiedete sich ein Vater von seinem Sohn, der ebenfalls Tropenuniform trug. Wie diese beiden Männer mit dem Zug fort waren, haben der Vater und ich sehr geweint.

Hitler hatte noch alle, denen es noch irgendwie möglich war, zusammengeholt, um sie an die Front zu schicken. Im Januar 1944 kam Berthold nach Kreta zur Besatzung.

1944
Wir waren so sorglos und voller Freude, vom Krieg merkten wir nichts. Jedenfalls ging es mir so, es schien alles so weit weg. Elfriede hatte zwar lange nichts von ihrem Verlobten Ernst gehört, aber von Berthold kam laufend Post aus Kreta. Daß unsere deutsche Wehrmacht keine Siege und keine Vormärsche mehr zu berichten hatte, kümmerte mich auch wenig, weil es immer wieder durch Hitlers und Göbbels Reden beschönigt wurde.
Elfriede hatte jetzt endlich Post von ihrem Verlobten. Ernst war an der rechten Hand verwundet worden und lag in Graudenz bei Posen im Lazarett. Er hatte in der Nähe von Riga gekämpft, wo sie eingeschlossen waren und deshalb keine Postverbindung bestand. Von Berthold, dessen Truppe von Kreta über den Balkan zurück getrieben wurde, kam im Oktober die letzte Post.

Ich schrieb noch immer Briefe an Walter, Paul und Egon. Aber es kam keine Antwort. Die Briefe vom 11.11. und 14.12.44 kamen zurück mit dem Stempel „An Absender zurück. Neue Anschrift abwarten“. Aber es kam keine neue Anschrift. Weihnachten stand nun vor der Tür. Ich fuhr mit meinem Vater zum Weihnachtsbaumverkauf nach Dannenberg. Kam ich zurück, bestürmte ich gleich meine Mutter: „Ist Post gekommen?“ „Nein, keine, auch von Berthold nicht!“ Der Heiligabend kam. Die Bescherung fand in einer bedrückenden Stille statt. Jeder versuchte sich eine Freude vorzutäuschen, doch in Gedanken waren wir bei Berthold, Walter und seinen Freunden.
Warum hatten wir bloß keine Post? Noch glaubten wir, dass alle irgendwo in der Ferne unter einem Christbaum mit ihren Kameraden sitzen und an zu Hause denken. Bertholds letzter Brief war vom 11.10.44  und Walters vom 20.11.44. Am nächsten Morgen, am 1. Weihnachtstag, muss Elfriede zu Herrn Bohlmann kommen. Als sie zurückkam, sollten wir drei Vater, Mutter und ich ins Klubzimmer kommen. Elfriede hatte ganz verweinte Augen und wir ahnten Schlimmes. Sie hatte einen Brief in der Hand, der an den Ortsgruppenleiter der NSDAP (Herrn Bohlmann in Grabow) geschickt war.
Elfriede teilte uns nun unter Tränen mit, dass dieser Brief schon vor einigen Tagen bei Herrn Bohlmann angekommen war, aber er wollte es uns erst jetzt sagen: Berthold ist gefallen. „Mama, Papa, er ist tot! Er kommt nie mehr zurück!“ Oh, es war so furchtbar! Wir alle hatten Berthold so geliebt und so gehofft, dass er den Krieg übersteht. Jetzt sah ich das erste Mal in meinem Leben, dass meine Eltern sich umarmten, sie wollten gemeinsam das Leid tragen, sie klammerten sich aneinander und wussten nicht ein noch aus. Wir alle hatten Angst um Mutter, da sie doch so herzleidend war. Es war ein harter Schlag für uns alle. Doch am meisten für Mutter und Vater.
Mein Vater hatte so gehofft, dass sein Sohn die Landwirtschaft weiterführen würde, die er aufgebaut hatte. Nun würde er nie mehr eine Unterstützung bei seiner Arbeit haben. Dieser Krieg! Dieser verfluchte Krieg! Und das durfte man nicht mal laut sagen. Eingesperrt hätte man uns, ins KZ hätte man uns gebracht! Herr Bohlmann hatte zu Elfriede gemeint, wie sie so bitterlich weinte: „Du musst doch stolz sein auf deinen Bruder. Er ist den Heldentod gestorben.“ Das war das Bitterste, was man ihr je gesagt hatte.
Der Brief mit der Todesnachricht von Bertholds Kompanie war schon vor Weihnachten beim Ortsgruppenleiter Herrn Bohlmann eingetroffen:

„Holtemann Im Felde, den 1. Dez. 1944
Hauptmann und Kompagniechef
20429

Sehr geehrter Herr Grebien!
Es ist mir eine unendlich traurige Verpflichtung, Ihnen heute mitteilen zu müssen, daß Ihr lieber Sohn, unser aller guter Kamerad Berthold, in der Nacht vom 26. Zum 27. November durch Bauchschuß gefallen ist. Er war sofort tot.
Die Kompanie hatte den Auftrag, eine Höhe zu besetzen und zu halten, als sie plötzlich von allen Seiten angegriffen wurde. Tapfer, wie immer, stand er seinen Mann inmitten seiner Kameraden bis ihn die tödliche Kugel traf. Auf der Höhe 1.305 einige Kilometer westlich der am Fluß Lim gelegenen Stadt Prijepolje 150 Kilometer südwestwärts Sarajewo liegt ihr lieber Sohn zur ewigen Ruhe gebettet.
Sobald sich die Möglichkeit bietet, werden wir die etwa noch vorhandenen Privatsachen nachsenden.
Möge es Ihnen ein Trost sein und gleichzeitig eine Verpflichtung für uns alle, daß sein Tod für uns alle war, für die Größe und Freiheit unseres großen deutschen Vaterlandes. Fest im Glauben und in der Pflichterfüllung bis zum letzten wollen wir den geraden Weg, den der Führer uns weist bis zum Siege weiter gehen.
Mit meiner und aller Kameraden Ihres lieben Sohnes tiefsten Anteilnahme bin ich stets Ihr Holtemann.“

Wir mussten es nun geduldig tragen, dieses furchtbare Schicksal. Auch Mutter wurde die Kraft zum Tragen dieses großen Leides gegeben. Es wird einem Menschen wohl nie mehr Leid auferlegt, als er zu tragen vermag. Elfriede und ich waren meiner Mutter ein großer Trost und wir waren immer darauf bedacht, ihr keinen Kummer zu machen.

Am Sonntag, den 4. Februar 1945 war die Gedenkfeier für meinen Bruder Berthold in der Kirche zu Plate. Für uns war es selbstverständlich, dass die Trauerfeier in der Kirche stattfand und nicht in einem Saal  der NSDAP, eine sogenannte Heldengedenkfeier, wie ich sie einmal in Breselenz als BDM-Führerin erlebt habe.
Unsere ganze Verwandtschaft und viele Grabower und Beutower nahmen an der Gedenkfeier teil.
 

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